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CRISTINA HENRIQUEZ: „DER GROßE RISS“
Zu den Anfang dieses Jahres deklamierten monströsen imperialistischen Träumen von Präsident Trump gehört auch die „Wiederübernahme“ des Panama-Kanals unter die US-Hoheit. Dadurch erhält der Roman „Der große Riss“ von Cristina Henriquez eine überraschende Aktualität, denn er handelt von den Umständen, unter denen die Wasserstraße zwischen Atlantik und Pazifik gebaut wurde.
Die Franzosen waren 1883 mit einem Vorläuferprojekt gescheitert, die aufstrebenden USA aber hatte größtes Interesse an dieser ökonomisch und strategisch so verlockenden Abkürzung für die Schifffahrt. Als dann 1903 sepratistische Bewegungen sich vom krisengeschüttelten Kolumbien lösen wollten, unterstützten die Nordamerikaner dies.
Mit Geld und militärischem Druck sorgten sie für die Gründung der selbständigen Republik Panama. Die Gegenleistung: die USA bauten den Kanal in eigener Zuständigkeit und ließen sich auch die Hoheitsrechte über die zehn Meilen breite Kanalzone übertragen.
Erfolgsautorin Henriquez hat allerdings keinen direkten Historienroman daraus entwickelt, sondern bette die historischen Vorgänge in einen breiten Erzählstrom um verschiedene Personen der wechselvollen Geschichte und wie die Entstehung des gewaltigen Projektes erlebten.
Und vor allem auch durchlitten, denn gleich zwei Umstände machten den Bau der künstlichen Wasserstraße quer durch den Isthmus von Panama zu einem mörderischen Unterfangen. Jeder, der mit dem Bau zu tun hatte, musste das widerwärtige Klima ertragen. Wobei die hitzigen Zeiten des Dauerregens von der ständigen Gefahr begleitet waren, sich durch die Myriaden von Moskitos die Malaria einzufangen.
Der anere Wahnwitz war die große Kluft, die unerlässlich wurde für den Durchstich: auf neun Meilen Breite musste man sich durch den quer zum geplanten Kanal liegenden Rücken der Kordilleren graben. Entsprechend klingt der internationale Ruf nach 4000 Arbeitskräften aus dem Jahr 1907 wie blanker Hohn, wenn da samt vielen Vergünstigungen „Arbeit im Paradies“ versprochen wird.
Cristina Henriquez stellt nun einige der Akteure in jeweiligen Handlungssträngen vor. Da ist die 16-jährige Ada, die als blinder Passagier von Barbados hierher gekommen ist, um Geld für die kranke Schwester zu verdienen. Oder der US-kritische Fischer Francisco, dessen einziger Sohn Omar sich ausgerechnet bei dem für ihn viel zu schweren Kanalbau verdingt.
Er und andere Arbeiter werden bei ihrer elendigen arbeit in Regen und Schlamm ebenso porträtiert wie der Aufseher Miller. Der als Nordamerikaner in die Kategorie „Gold“ gehört, wenn es zum Beispiel um medizinische Versorgung, Unterkunft und Bezahlung geht, während alle Nicht-Weißen zur unterklassigen Stufe „Silber“ abgetrennt sind.
Privilegiert sind dagegen der Malaria-Forscher Oswald und seine Frau aus Tennessee. Während sich der gefühlsarme Wissenschaftler verbissen in die Arbeit stürzt, leidet seine Frau in der Dienstvilla an Isolation und noch mehr am menschenfeindlichen Wetter. Durch eine glückliche Fügung findet Ada Anstellung bei ihr als Hilfe, vor dem Siechtum retten kann sie die bedauernswerte gebildete Frau aber auch nicht.
Andere Akteure lehnen sich auf, als ihre Heimatstadt Gatun dem Kanalbau geopfert und an anderer Stelle wiederuafgebaut werden soll. Es entfaltet sich ein breiter Fächer on Erzählsträngen, die sich zuweilen in zu vielen Details und Vergangenem verzetteln.
Das mag in den meisten Fällen durchaus interessant sein, doch das Ganze fügt sich nicht zu dem möglichen Epos. Zudem bleibt das berühmte Kanalbauprojekt selbst mangels näherer Fakten und Entwicklungsstufen eher im Ungefähren.
Aus vielen Teilen wird hier nur ansatzweise ein ganzes, dessen Titel im Übrigen unverständlich ist: hier ist nichts gerissen. Im Original heißt er „The great Divide“ und um eine große Kluft – und das nicht nur im geografischen Sinne – geht es hier.


# Cristina Henriquez: Der große Riss (aus dem Amerikanischen von Maximilian Murmann); 413 Seiten; Hanser Verlag, München; € 26
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)