- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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EVELINA JECKER LAMBREVA: „MEIN NAME IST MARCELLO“
Als die berühmte Schweizer Schriftstellerin Fabiana Bianchi ihren neuen Krimi „Mein Name ist Marcello“ in Mailand mit einer Lesung vorstellt, ist der Andrang riesig. Als sie das erste Kapitel gelesen hat, in dem der Titelheld seine Herkunft aus einer von Gewalt geprägten Familie offenbart, springt ein Mann auf und bezichtigt die Autorin des Diebstahls seiner Biografie.
Damit beginnt der neue Roman von Evelina Jecker Lambreva, der so heißt wie das Buch im Buch. Fabiana kennt diesen Paolo Privoli nicht und hat alles aus ihrer Fantasie geschrieben. Der Italiener aber droht ihr gleichwohl eine Klage an und erscheint nun auch bei den weiteren Lesungen.
Nun zwar ohne direkte Drohungen, dennoch fühlt sich die Bestsellerautorin bald so beunruhigt, dass sie die Lesereise abbricht. Für Paolo aber sind die Beschreibungen des jungen Mannes kaum erträglich, denn auch dieser Marcello wurde wie er als angeblicher Mörder seines kleinen Bruders verurteilt.
Erst mit 23 Jahren kam er aus dem Gefängnis, als sein Goßvater gestand, er sei der wahre Täter. Und aus dem angeblich „bösartigen Jugendlichen“ von damals wird über den Job als Taxi-Fahrer ein weltgewandter Liebhaber, der gut situierten Damen immer besser bezahlte Liebesdienste leistete. Um sich schließlich zum wohlsituierten Kunsthändler hochzuarbeiten.
Die so biografisch erscheinenden Schilderungen der Autorin reißen nun alte Wunden wieder auf. Bitteres kommt wieder hoch von der ebenso biestigen wie lieblosen Mutter, die den sanften Vater in den Selbstmord trieb. Nur vom Großvater konnte sie gebändigt werden, weil der Frauenhasser noch brutaler war als sie.
Es sind herbe Passagen aus zerrütteten Familienverhältnissen, die ein ebenso fesselndes wie konturenscharfes Bild Paolos zeichnen. Hier kommen zu den literarischen Qualitäten der aus Bulgarien gebürtigen Autorin die professionellen, denn hauptberuflich arbeitet sie als Psychiaterin und Psychotherapeutin in der Schweiz. Und als solche gibt sie bei einem Schwenk auf die Vita Fabianas bis in die von schweren psychischen Probleme in der Kindheit nun auch hier einer präzisen Entwicklung eindrückliche Züge.
Wenn diese beiden so komplexen wie gegensätzlichen Menschen jedoch per Zufall doch wieder aufeinander treffen, schlagen flirrende Anziehungskräfte zu. Für Beide unwiderstehlich, für Paolo aber auch schwer verständlich, denn: „Die Nähe zu einer Fau hatte er hauptsächlich durch Bestrafung kennengelernt.“
Doch dieses mit Grandezza in klarer bildhafter Prosa und mit hoher atmosphärischer Dichte geschriebene Füllhorn an Erzählkunst hat noch längst nicht seine letzte überraschende Perspektive ausgespielt, wenn es erotisch wird. Kaum etwas ist, wie es scheint, und am Ende sorgen letzte grandiose Wendungen endgültig für das Signum Psychothriller. Der im Übrigen absolut filmreif ist.
# Evelina Jecker Lambreva: Mein Name ist Marcello; 266 Seiten; Braumüller Verlag, Wien; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)