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GARRY DISHER: „DESOLATION HILL“
Vor über drei Jahren wurde Paul Hirschhausen von der Adelaide Police nach Tiverton in den endlosen staubigen Outback Australiens strafversetzt. So richtig gewöhnt hat sich der Senior Constable noch immer nicht an dieses Polizeileben, wo eine Patrouille in seinem Revier einen ganzen Tag dauern kann.
Mit einem Bodendenkmal, das den Ureinwohnern gewidmet ist, und dessen Initiator, den Hirsch nach den Ermittlungen wegen seines mutwillig erschossenen wertvollen Merino-Zuchtbock fragt, beginnt unter dem Titel „Desolation Hill“ Garry Dishers vierter Fall um den eigenwilligen Polizisten.
Und wie zuvor hat der er einmal mehr mit einer krausen Mischung von Vergehen und Straftaten zu tun von geklauten schafen über Cybermobbing ausgerechnet gegen die Tochter siner Freundin bis zu Sperrmüllbetrügereien. Doch es gibt auch die schwerwiegenderen Fälle echter Kapitalverbrechen.
So entdecken Kinder am Feldrand einen brennenden Reisekoffer und aus der Lappalie wird ein rätselhafter Kriminalfall, weil im Koffer nämlich eine Leiche steckt. Eine angenehmere Begegnung hat Hirsch dagegen mit einer Ausländerin: Janne van Zant aus Belgien.
Ihr 21-jähriger Sohn hatte als Bagpacker zeitweise hier gearbeitet, sich nun aber seit drei Monaten nicht mehr gemeldet. Durch die attraktive Dame – eine Kriminologin, wie sich später herausstellt, kommt Hirsch zur Riesenfarm Drydens Down, dem letzten Arbeitsplatz des jungen Mannes. Sam und Myra Dryden äußern sich sehr positiv über ihn, er sei jedoch mit Freundin Eve fortgegangen. Nebenher stellt Hirsch fest, dass die Drydens Waffen- und Pferdenarren und extrem machtbewusst sind.
Über dem gesamten Geschehen liegt im Übrigen eine fiebrige Nervosität, ausgelöst durch Covid 19 und Australiens besonders schroffe Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Während nicht nur die Drydens militante Impfgegner sind und ihre Souveränität beschwören, hat Hirsch immer wieder nervöse Momente, wenn die Innere Abteilung ihn übers Netz einmal mehr piesackt.
Zuletzt, weil er einen renitenten Impfstörer vor laufender Kamera einen „Covidioten“ genannte hatte. Dabei hat er so viel Wichtigeres zu tun, als zum Beispiel der heimliche Videomitschnitt einer Aborigine-Frau im Netz auftaucht von deren Epilepsie-Anfall direkt vor der Polizeistation.
Maskenterror, heimliche und offene Anfeindungen und dazu Bilder eines Hundeangriffs auf ein Baby, die den durchaus sensiblen Hirsch verfolgen, gewähren ihm keine Verschnaufpause. Es passiert dauernd etwas und das ist eine der besonderen Qualitäten dieses hoch atmosphärischen Romans: gerade das vermeintliche Klein-Klein wirkt ungeheuer authentisch. Und überrascht immer mehr, wenn man ahnt, wie fast alles doch irgendwie miteinander zusammenhängt.
Wobei die dumpfen rechtsextremen Anklänge sich allmählich zum „Antipodean Storm“ aufschaukeln und Anti-Impffanatiker zum abstrusen Aufbegehren übergehen wollen. Da erinnert der exzellent gezeichnete Paul Hirschhausen in vielem an den ebenso stoischen wie gewitzten Kleinstadtpolizisten Knoop aus der deutschen Fernsehreihe „Harter Brocken“.
Und wie dessen Fälle endet auch „Desolation Hill“ in einem knackigen Finale. Fazit: ein meisterhafter Kriminalroman, weitab vom Mainstream und so bildhaft, dass man ihn als Film ablaufen sieht.


# Garry Disher: Desolation Hill (aus dem Englischen von Peter Torberg); 346 Seiten; Unionsverlag, Zürich; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)