- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Biografien
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FRANZISKA AUGSTEIN: „WINSTON CHURCHILL“
Winston Churchill (1874-1965) war eine Jahrhundertpersönlichkeit und in diesem Jahr wäre sein 150. Geburtstag gewesen. Zu einem solch großen Staatsmann gibt es natürlich eine Vielzahl biografischer Schriften, dennoch hat sich die Historikerin Franziska Augstein getraut, quasi zum Jubiläumsjahr eine neue zu verfassen.
Schlicht „Winston Churchill. Biographie“ ist sie überschrieben und es sei vorweg gesagt: die Autorin hat trotz so vieler Vorgaben ein hervorragendes Werk auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse geschaffen. Schon im Vorwort beugt sie dem Verdacht einer Hagiografie vor, stattdessen geht sie mit frischem unverstelltem Blick kritisch vor.
Als einen barocken Lebemann, der ebenso zu Wutausbrüchen wie zu Narzissmus und erheblichen Depressionen neigte, geht sie den Spross aus dem berühmten Hause des Duke of Marlboro an. Auf dem prachtvollen Schloss Blenheim Palace geboren, hatte er jedoch eine freundlose Kindheit mit desinteressierten Eltern und frühen brutalen Internats- und Schulzeiten.
Augstein schließt aus dem Charakter der Eltern und den Erfahrungen der frühen Jahre auf die Herkunft vieler Eigenschaften vom exzentrischen Egoismus über Ungeduld, Sprunghaftigkeit bis hin zu unbekümmertem Opportunismus, die für ihn, vor allem aber für viele Untergebene immer wieder unangenehm bis unerträglich waren.
Doch dem stehen auch Humor, Verschwendungssucht und manch skurrile Macken dieses harmoniebedürftigen Raubauzes gegenüber. Über all den negativen Eigenheiten überwiegen jedoch die Bravour des ebenso erzkonservativen wie gewieften Politikers, als er 1940 in der größten Not des Vereinigten Königreichs das Amt des Premierministers übernahm.
Und auch diese Biographie macht kein Hehl daraus: ohne dieses Genie der Selbstbehauptung „wäre Großbritannien vielleicht an die Nazis gefallen, ohne ihn wäre der Zweite Weltkrieg anders verlaufen.“ Churchills stärkste Waffe aber war seine Wortgewalt, denn seine autodidaktisch geschulte Rhetorik „war während des Zweiten Weltkriegs mehr wert als Schlachtschiffe!“.
Dabei war der Weg bis ins Amt des Retters außerordentlich gewunden und gepflastert mit allerlei Fehlleistungen. Seine Besserwisserei nervte Kollegen und Militärs und als Marineminister löste er durch seine mit strategischer Unfähigkeit gepaarte Selbstherrlichkeit 1915 den missratenen Gallipoli-Feldzug aus. Zehntausende Soldaten und zahlreiche Kriegsschiffe fielen dem vor den Dardanellen zum Opfer.
Vieles wird aus der Vorgeschichte des immens fleißigen Churchill deutlich, wie der Kriegsromantiker in jungen Jahren als Offizier zum Kriegshelden und quasi parallel zum hochbezahlten Kriegsberichterstatter wurde. Ohnehin war sein literarisches Talent so ausgeprägt, dass sein umfangreiches Werk als Autor 1953 in der Verleihung des Literatur-Nobelpreises gipfelte.
Zum Bild Churchills gehört untrennbar aber auch die private Seite. Als Genießer war er recht unmäßig, allerdings ein treuer Ehemann in einer komplizierten aber glücklichen Ehe. Es gehört zu den hohen Qualitäten dieser Biographie, dass Franziska Augstein nicht nur sehr intensiv recherchiert hat sondern die ungeheuer vielen Fakten und Quellen in immer wieder erhellender Weise in aufschlussreiche Zusammenhänge stellt.
Sie verdeutlicht auch, dass Churchill mit Gott „wenig am Hut“ hatte und von Wirtschaft nichts verstand. Andererseits stellt sie auch die Züge von Rassismus und Kolonialismus nicht in Abrede – der Adelsspross darin ganz aus dem viktorianischen Zeitalter vorgeprägt. Empire, die Krone und der Parlamentarismus waren die drei Säulen seiner Weltanschauung.
Sir Winston Churchill habe von Kindesbeinen an das Gefühl gehabt, zu Höherem bestimmt zu sein. Das Gefühl hatte nicht getrogen. Die verschlungenen Wege, die Höhen und Tiefen dieses ebenso schillernden wie großartigen Staatsmannes hat Franziska Augstein nicht nur meisterhaft dargestellt, durch ihre moderne Sprache, die in angemessener Weise manches mit einer gewissen Süffisanz angeht, hat sie diese zu einem hervorragend zu lesenden Standardwerk gemacht.
# Franziska Augstein: Winston Churchill. Biographie; 615 seiten, div. SW-Abb.; dtv Verlag, München; € 30
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)