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SUZANNE COLLINS: "L. DER TAG BRICHT AN“
Vor fünf Jahren legte Suzanne Collins ein Prequel zu ihrer Bestseller-Trilogie der „Tribute von Panem“ vor. Jetzt gibt es unter dem Titel „Die Tribute von Panem L. Der Tag bricht an“ ein zweites, das diesmal zum 50-jährigen Jubiläum der Spiele führt, also 24 Jahre vor den Ereignissen der drei großen Ursprungsromane.
Hauptfigur und Ich-Erzähler ist Haymitch Abernathy, bekannt als unsympathischer, versoffener Mentor von Katniss und Peeta. Hier jedoch steht er an seinem 16. Geburtstag vermeintlich abseits von dem, was an diesem 4. Juli wie alljährlich seit einem halben Jahrhundert geschehen soll: die tödlichen Hungerspiele zu Ehren des allmächtigen Kapitols.
Als Strafe für die Rebellion gegen die drakonische Herrschaft waren sie seinerzeit angeordnet worden. An diesem Festtag hatte jeder der zwölf Distrikte Panems je einen Jungen und ein Mädchen im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren in die Arena zu schicken, auf dass sie sich in Zweikämpfen ähnlich den einstigen römischen Gladiatoren so lange gegenseitig massakrieren, bis ein Überlebender sich zum Sieger kürt.
Zu diesem besonderen Jubiläum aber soll „die Ernte“ eine besondere sein: jeder Distrikt hat vier Tribute zu entsenden. Haymitch, den man hier als sympathischen Pfunskerl kennenlernt, ist zum Anbruch seines Geburtstags froh, dass er nicht zu den Ausgelosten gehört, zumal sein ärmlicher Distrikt bisher mangels Unterstützung durch Mentoren fast nie den Sieger gestellt hat.
Und dann trifft es ihn doch noch, ein unglücklicher Zufall befördert ihn überraschend ebenfalls in die Arena. Schon wie es sich anbahnt und schicksalhaft voranschreitet, lässt nichts Gutes ahnen und dieser Panem-Roman ist noch düsterer als die bisherigen.
Da zittert man mit, denn längst weiß man, was der Junge aus sehr einfachen Verhältnissen denkt und fühlt. Bis hin zu Auflehnungsgedanken gegen das finstere System von Präsident Coriolanus Snow, dem mächtigsten und grausamsten Menschen in Panem.
Schon vor Beginn der sogenannten Spiele erlebt Haymitch eine emotionale Achterbahnfahrt auf dem Weg in die Mordmaschine: „Ich bin in Spielzeug des Kapitols. Sie werden mich zu ihrer Unterhaltung benutzen und dann töten, und die Wahrheit spielt keine Rolle.“ Da erwachsen Gedanken an Rebellion und die erfassen auch seine Mitkämpfer aus Distrikt 12.
Der ganze Zynismus des Systems offenbart sich dann bei den Kämpfen, die alles als fair sind, zumal sich das Kapitol zur Steigerung des Vergnügens gemeine Überraschungen einfallen lässt. Eine davon allerdings nutzt Haymitch im finalen Showdown mit der axtbewehrten Tributin Silka für sich aus.
Dass Haymitch die 50. Hungerspiele überlebt, ist dabei nur für ihn selbst überraschend, sonst hätte er ja nicht später als Menotr anderer junger Tribute auftreten können. Die monströsen Folgen, die ihm nach seinem traurigen Triumph widerfahren – und hier verraten werden sollen – lassen aber auch verstehen, wie er so sarkastisch und kaputt geworden ist, wie man ihn in der Trilogie erlebt hat.
Eine noch düsterere Dystopie als die Vorgängerromane ist „Der Tag bricht an“, zugleich weniger komplex. Das Geschehen entwickelt sich in der sehr jugendlichen Sprache Haymitchs sogar eher gemächlich, bis es immer packender wird.
Fazit: ein starkes Stück Literatur nicht nur für jugendliche Leser ab 14 Jahre, das manchen Aspekten aus der Trilogie zusätzliche Tiefe verleiht und im Übrigen selbstverständlich bereits zur Verfilmung ansteht.


# Suzanne Collins: Die Tribute von Panem L. Der Tag bricht an (aus dem Amerikanischen von Sylke Hachmeister und Peter Klöss); 459 Seiten; Oetinger Verlag, Hamburg; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)