- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Non-Fiction)
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BEN MACINTYRE: „DER SPION UND DER VERRÄTER“
Oleg Gordijewski wird in den 80er Jahren zum erfolgreichsten Doppelagenten für den britischen MI6 und sorgt in einer entscheidenden Phase dafür, dass es nicht zum 3. Weltkrieg kommt. Dann aber ist es ausgerechnet ein geldgieriger CIA-Mitarbeiter, der ihn an den KGB verrät. Und schließlich gelingt dem Todeskandidaten die Flucht aus den Fänger seiner Kollegen.
Ein wilder Agentenroman? Nein, alles ist real und in allen Einzelheiten erzählt von Ben Macintyre, dem wohl erfolgreichsten Experten für wahre Begebenheiten aus der Welt von Geheimdiensten und Spionage. Der Titel seines Buchs lautet „Der Spion und der Verräter“ und man darf vorweg sagen, dass der Untertitel nicht übertreibt: „Die spektakulärste Geheimdienstgeschichte des Kalten Krieges“.
Eingangs wird der Werdegang Gordijewskis dargelegt, einem Ausnahmetalent, dessen Vater bereits KGB-Agent wart. Als er wunschgemäß im Ausland eingesetzt wird, beginnt seine feste Weltanschauung sich aufzuweichen. Die Entfremdung von der Sowjet-Ideologie kippt endgültig mit der Niederschlagung des Prager Frühling durch die „Brudervölker“ im August 1968.
1974 lässt sich Gordijewski bewusst vom MI6 anwerben und wird zum Doppelagenten. Seine ganz große Zeit kommt 1982, als er im Rang eines Oberst als 44-Jähriger stellvertretender Resident der KGB-Station in London wird. Und Agent „Nocton“, so sein Code-Name, lässt nicht nur die Quellen sprudeln, er liefert in einer entscheidenden Phase des Kalten Krieges Informationen, die vermutlich dazu beitrugen, den unmittelbar drohenden 3. Weltkrieg zu verhindern.
1981 hatte der KGB-Vorsitzende Juri Andropow (der spätere kurzzeitige ober Sowjet-Herrscher) RJaN angeordnet (in etwa „Raketenangriff“), den Geheimdienstauftrag zur Erkundung der Pläne des Westens für den befürchteten „Nuklearen Erstschlag“. Diesem größten Geheimdienstauftrag ordnete der paranoide Andropow alle anderen Aktionen des KGB unter.
„Die Furcht vor einem Erstschlag drohte einen Erstschlag zu provozieren“ - diese heikle sowjetische Denkweise enthüllte Insider Gordijewski seinen britischen Ansprechpartnern. Und das keinen Augenblick zu früh, denn die Furcht eskalierte mit massiven Fehlinterpretationen des NATO-Manövers „Able Archer 83“ als Angriffsplan gegen die Sowjetunion. Die brachiale Rhetorik von US-Präsident förderte diese Paranoia noch.
Doch der MI6 wusste dank Gordijewski genau dies, und diese Informationen führten zu einer Deeskalation insbesondere, indem das Manöver nicht bis in die letzten massiven Ausformungen durchgeführt wurde. In Premierministerin Margaret Thatcher hatte der KGB-Oberst seither eine unverbürchlich dankbare Freundin (obwohl sie erst später überhaupt seinen Echtnamen erfuhr).
Auch in den USA war man dem Doppelagenten sehr dankbar, allerdings – die CIA hätte nun auch gern die vom MI6 strikt geheim gehaltene Identität des Meisterspions erfahren. In ihrer beruflichen Eifersucht beauftragte Langley nun ausgerechnet Aldrich Ames damit, Näheres herauszufinden. Der jedoch erwies sich als geldgierige Type und obendrein mit einer anspruchsvollen Kolumbianerin verheiratet.
Da war er selbst es sogar, der sich dem KGB andiente, und der Verräter aus niedersten Beweggründen lieferte schließlich reichlich Informationen. Auf sein Konto kommen zahlreiche Verhaftungen von Agenten und mindestens zehn Morde an solchen durch den KGB. Und auch Oleg Gordijewski gerät so ins Fadenkreuz der eigenen Kollegen und als er 1985 nach Moskau zurückbeordert wird, weiß er nur zu gut, was ihm blühen wird.
Gerade im Falle eines so hohen Offiziers will der KGB jedoch Beweise und ein Geständnis. Womit ein weiterer spannender Roman im Roman einsetzt, denn es kommt zu einem atemberaubenden Katz-und-Maus-Spiel ums nackte Leben. Und die dankbaren Kollegen vom MI6 haben fürsorglich den Fluchtplan „Pimlico“ ausbaldowert – der sich absolut filmreif liest.
Oleg Gordijewski, der hochgeehrt an geheimem Ort seinen Lebensabend genießt, begnügte sich nach der Lektüre dieses Agententhrillers mit Echtheitszertifikat mit einem knappen: „Es ist tadellos.“ Sein Verräter hingegen flog später auf und sitzt seit 30 Jahren hinter Gittern. Fazit: der Untertitel trifft voll zu auf dieses Meisterwerk des Genres.
# Ben Macintyre: Der Spion und der Verräter (aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger); 476 Seiten, div. SW-Abb.; Insel Verlag, Berlin; € 28
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)