- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Non-Fiction)
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LUKAS MAISEL: „WIE EIN MANN NICHTS TAT UND SO DIE WELT RETTETE“
„Wenn Sie diese Geschichte lesen, wissen Sie schon, wie sie ausgehen wird: dass Sie leben, ist der Beweis dafür, dass sie gut ausgegangen ist.“ Das schickt der Schweizer Erfolgsautor Lukas Maisel seinem jüngsten Roman voraus, denn – der beruht absolut auf Tatsachen.
Man kann das Agieren des sowjetischen Oberstleutnants Stanislaw Petrow (1939-2017) als Heldentat bezeichnen, wenngleich der Titel des Buches eine andere Logik verrät: „Wie Mann nichts tat und so die Welt rettete“. Man schreibt das Jahr 1983, die Stimmung zwischen den USA und der Sowjetunion ist durch beiderseitige Provokationen derartig fiebrig geworden, dass der Kalte Krieg heiß zu laufen droht.
Da muss Oberstleutnant Petrow für einen erkrankten Kollegen einspringen und die Nachtschicht im streng geheimen Serpuchow-15-Bunker übernehmen. Es ist der 26. September 1983 und Petrow hat als gelernter Mathematiker selbst mitgearbeitet an der Entwicklung des ersten sowjetischen Frühwarnsystems, computergestützt mit Weltraumsatelliten und Bodenradar.
Und dann schrillen um 00:15 Uhr die Alarmglocken und auf den Bildschirmen erscheint in blutroten Buchstaben das Wort „Start“, was Alarm bedeutet. Das System meldet das Aufsteigen einer US-Minuteman-Atomrakete. Für solche Fälle gilt die Regel des „Launch on Warning“, also die sofortige Auslösung des atomaren Gegenschlags nach dem Prinzip „Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter“.
Petrow aber stutzt über eine Ungereimtheit: ein Angriff mit einer einzelnen Atomrakete widerspricht jeder Logik. Zudem weiß gerade er um die fehlerhafte Zuverlässigkeit des neuen Warnsystems. Der Computer aber schätzt den Alarm als „hölchst glaubwürdig“ ein – und beschert dem Hauptverantwortlichen eine schier unmenschliche Ausnahmesituation der Entscheidungsfindung.
Folgt er den klaren, von ihm sogar mitformulierten Anweisungen, würde die gesamte Raketenmacht der Sowjetunion gestartet und auf beiden Seiten Millionen von Menschen und im Endeffekt die Welt, wie wir sie kennen, auslöschen. Doch Petrow ist kein simpler Befehlsempfänger und er versteht genug von diesem M-10-Großrechner, dass er diesen Alarm als Fehlalarm einstuft.
Das alles aber muss in kürzester Zeit entschieden werden, denn dies ist tödlicher Ernst und die Zeit bis zum Einschlag der amerikanischen Atomrakete würde sich nur noch auf Minuten belaufen. Petrow meldet dem Vorgesetzten, es sei ein Fehlalarm. Und dann erscheinen vier weitere Startmeldungen auf den Monitoren!
Genau 17 Minuten nach dem Schrillen der Alarmglocken dann die Meldungen der Radarschirme – nichts! Keine Raketen im Anflug und später stellen sich fehlerhaft interpretierte Lichtreflektionen als Auslöser heraus. Petrow hat die Situation mit sachlichem Verstand – und auch seinem Bauchgefühl – richtig eingeschätzt.
Nüchtern und geradezu reportagehaft schildert Lukas Maisel diese monströse Situation. Da bleibt das Frösteln subtil und entfaltet sich erst im Nachhall, wenn die Tragweite des Geschehens so richtig bewusst wird.
Im Nachwort weist er darauf hin, dass der Mann, der den Weltuntergang durch seine Besonnenheit verhinderte, nicht dafür belohnt oder wegen der Regelverstöße bestraft wurde.
Öffentlich aber wurde dier unter höchster Geheimhaltung stehende Vorfall erst 1992 durch einen redseligen General, Immerhin brachte das dem so über alle Maßen verdienstvollen Stanislaw Petrow einige bescheidene Ehrungen ein. Fazit: ein schmales Dokudrama nach tatsächlichen Begebenheiten, das diesem Mann ein würdiges Denkmal setzt.
# Lukas Maisel: Wie ein Mann nichts tat und so die Welt rettete; 121 Seiten; Rowohlt Verlag, Hamburg; € 23
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)