- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Non-Fiction)
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PAUL THEROUX: „BURMA SAHIB“
George Orwell (1903-1950) zählt zu den berühmtesten und meistzitierten Schriftstellern der Weltliteratur und natürlich gibt es auch eine Menge Literatur über ihn. Dennoch liegen ausgerechnet seine ganz jungen Jahre, die entscheidende Meilensteine für sein Denken und Schreiben setzten, weitgehend im Dunkeln.
Nun hat sich mit Paul Theroux ein versierter Autor und großer Kenner der Vita Orwells dieser Frühzeit angenommen. Romanhaft geht er sie an, das aber so nah an den historischen Gegebenheiten, dass man dieses Werk als eine Art NonFiction-Roman und fast wie eine Biografie lesen kann.
„Burma Sahib“ lautet der Titel aus gutem Grund, denn im Mittelpunkt stehen die viereinhalb Jahre ab Herbst 1922, in denen der blutjunge Eric Arthur Blair – so Orwells bürgerlicher Name – bei der Indian Imperial Police im heutigen Myanmar diente.
Mit einem breiten Erzählstrom in der wunderbar klaren Prosa, die den US-Autor berühmt machte, wird der 19-jährige Eton-Absolvent hier zunächst vorgestellt: sehr große gewachsen und hager, introvertiert, einzelgängerisch und ständig lesend.
Er ist noch gar nicht richtig angekommen, da verabscheut er bereits die Überheblichkeit und den Rassismus, mit denen die britischen Kolonialherren die Einheimischen behandeln: „Eingeborene sind Abschaum.“ Und noch während der ersten Monate als viel zu feingeistiger Offiziersanwärter bedauert er zutiefst, die Forderungen seines Vaters, einst selbst nachrangiger Kolo9nialbeamter, befolgt zu haben.
„Ich hasse das, ich sollte nicht hier sein.“ Mühsam fügt er sich, bleibt jedoch ein Außenseiter, obwohl er als Sprachgenie nicht nur die komplexen einheimischen Sprachen erlernt sondern auch „das unverbindliche Sprechen“, diese von den Engländern perfektionierte Kunst, zu sprechen und nichts zu sagen.
Und dann wird er in das schwülheiße Schwemmland des Irawaddy-Deltas versetzt, um eine dubiose Mordgeschichte aufzuklären. Während er sich einerseits in diese Aufgabe verbeißt, aber auch ein Liebesleben mit einheimischen Frauen abseits der üblichen Bordelle beginnt, überwältigt ihn andererseits das Gefühl, für diesen Kolonialdienst gänzlich ungeeignet zu sein.
Mindestens so schwer drückt ihn aber sein schlechtes Gewissen, weil er sich zunehmend den Regeln der vom ihm erwarteten Rolle beugt und anpasst. Und spätestens hier nun greift das vorangestellte George Orwells: „Es gibt einen kurzen Zeitraum im Leben eines jeden Menschen, in dem sein Charakter für immer festgeschrieben wird.“
Da wird schließlich 1927 eine schwere Erkrankung, wegen der er zur Erholung in die Heimat geschickt wird, zur Rettung. Nein, er wollte „nicht weiterhin Teil dieser bösen Despotie sein“, Teil eines verabscheuungswürdigen Unterdrückungssystems.
Eric Arthur Blair, der unter dem Pseudonym George Orwell bereits vor Ort mit dem erst 1934 erscheinenden Roman „Burmese Days“ begonnen hatte, kündigte den Dienst. Der weitere Weg durch intensive Sozialstudien und der Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg bis hin zu seinen Meisterwerken „Animal Farm“ und „1984“ ist hinlänglich ausgeleuchtet.
Was diesen Roman Paul Theroux' aber außer den exzellent und sehr glaubhaft nachempfundenen Charakterzeichnungen endgültig zu einem grandiosen Meisterwerk macht, ist das faszinierend ausgebreitete Ambiente. Der US-Autor ist nicht nur einer der berühmtesten Reiseschriftsteller, er kennt Burma aus eigenem Erfahren.
Fazit: „Burma Sahib ist eine großartige Hommage an George Orwell zu dessen 75. Todesjahr und zugleich ein literarischer Hochgenuss.
# Paul Theroux: Burma Sahib (aus dem Amerikanischen von Cornelius Reiber); 586 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 22
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)