- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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CLARE POLLARD: „DER SALON DER KÜHNEN FRAUEN“
Sehr modern, anzüglich und oft auch delikat waren die Märchen, die zu Zeiten von Ludwig XIV., dem berühmten Sonnenkönig, aufkamen. Erzählt wurden sie quasi zum Zeitvertreib in erlesenen Salons.
So lautet denn auch der Titel von Clare Pollards jüngstem Roman „Der Salon der kühnen Frauen“. Die britische Erfolgsautorin betont dazu, dass sie dazu von wahren Begebenheiten inspiriert wurde. Was auch das üppige Personentableau ahnen lässt, zumal einer der wichtigsten Charaktere der historisch verbürgte große Märchenerzähler Charles Perraults (1628-1703) ist.
Frankreich ist ein mächtiges Reich, allerdings mit krassen sozialen Gegensätzen. Das Volk hungert und friert, die Oberschicht aber frönt dem Luxus und weiß oft gar nicht, wie man vor Langeweile und Genusssucht neue Vergnügungen erfinden kann. Ein solcher willkommener Zeitvertrieb sind nun Salons wie sie die einst vom Hof verbannte Madame d'Aulnoy bietet: mit immer neuen, möglichst pikanten Märchen.
In diesen literarischen Zusammenkünften bei heißer Schokolade, Kuchen und Champagner werden sündige Geschichten fabuliert, die oft genug konkrete Vorbilder verschleiern. Je lästerlicher desto lieber, nur eine Sünde ist absolut tabu: kein kritisches oder gar abträgliches Wort über den König. So etwas könnte schlimm und sogar tödlich enden.
Doch Tratsch und Klatsch und Schilderung auch manch schlüpfriger Vorgänge erfreuen sich höchster Beliebtheit und die Sprache ist eher drastisch bis vulgär als etwa höfisch vornehm. Ohnehin geht es dekadent und alles andere als vornehm bei Hofe zu. Und wenn die Autorin so ganz offen authentisch Zustände schildert, kann es auch ausgesprochen unappetitlich werden.
So hatte Ludwig XIV. bekanntlich beim Bau des Versailler Schlosses jegliche Prachtentfaltung walten lassen, aber – Toiletten gab es keine! Wer dann keinen Nachttopf zur Verfügung hatte, schiss eben in irgendeine Ecke – so drastisch wird es hier ausgedrückt. Was im Übrigen erklärt, warum der Gebrauch von Parfüm irre Maße annahm und auch das Mobiliar betraf. Und ein Bad zu nehmen – wer käme auf eine solch garstige Idee?!
Um so intimer ist da der zunächst kleine Kreis von Frauen, die sich den neuen literarischen Vergnügungen hingeben. Doch sie, die ansonsten herzlich wenig Rechte haben und bei Bedarf von ihren Gatten verprügelt und auch ins Gefängnis oder ein Kloster verbannt werden konnten, bleiben selbst hier nicht unter sich.
Es gesellen sich nicht nur immer mehr Damen hinzu, selbst einige Männer nisten sich in dem Zirkel ein. Und stets besteht die Gefahr, dass ein Spion unter ihnen sein könnte, denn der König und sein Polizeiminister haben ihre Ohren überall.
Der Reigen der seinerzeit modernen Märchen und das Treiben in den Salons und bei Hofe eröffnet einen erstaunlichen Blick in diese Epoche. Der gerade wegen seines historisch echten Hintergrunds und der teils expliziten Sprache interessant aber nicht jedermanns Sache sein dürfte.
# Clare Pollard: Der Salon der kühnen Frauen (aus dem Englischen von Anke Caroline Burger); 288 seiten; Aufbau Verlag, Berlin; € 23
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)