- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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GIAN MARCO GRIFFI: „DIE EISENBAHNEN MEXIKOS“
Wenn ein Roman den Titel „Die Eisenbahnen Mexikos“ trägt und trotz eines Umfangs von 790 Seiten fast nichts von Lokomotiven und Zügen enthält, dann ahnt man, dass hier etwas sehr Besonderes oder schlicht Verrücktes vorliegen muss.
Und genau das hat der italienische Autor Gian Marco Griffin ersonnen und aus der Suche nach einer Geheimwaffe einen hinreißenden Schelmenroman gemacht. Am Anfang steht der von Zahnschmerzen geplagte Cesco Magetti, Unteroffizier der Repubblica Sociale Italiana.
Es ist der 8. Februar 1944, Mussolini herrscht nur noch über diesen Rest Italiens im Norden und der Befehl kommt auch nicht von dem machtlosen Duce sondern von dessen Nazi-Freunden. Sogar von ganz, ganz oben. Danach soll Magetti ein Buch besorgen, das offenbar ganz selten ist und nur noch hier existiert: „Poetische und malerische Geschichte der Eisenbahnen in Mexiko“.
Was sich so verrückt anhört, hat allerdings seinen Ursprung im Juli 1943 in Bayreuth, wie man erst später in einer der grandiosesten von vielen schrägen Passagen liest. Adolf und Eva weilen bei den Wagner-Festspielen und man schaut gewissermaßen durchs Schlüsselloch zu bei albernem Tun bis hin zu einem Quickie.
Wichtiger jedoch wird das Aufeinandertreffen der Reichselite im Anschluss, denn da hört der Führer vom aufgeplusterten Reichsführer SS erstmals von der furchtbaren, alles entscheidenden „Geisterwaffe“. Die verortet Heinrich Himmler in einem Höhlenwerk irgendwo in Mexiko, nur auf dem Schienenweg zu erreichen.
Das löst nun die Suche nach dem speziellen Buch aus, dessen letztes Exemplar angeblich nur noch in Oberitalien zu finden ist. Was den braven Magetti, der nie wagen würde,nach dem Sinn seines Auftrages zu fragen, erst einmal in die Bibliothek der Provinzstadt Asti führt. Und zu der bezaubernden Tilde, in die er sich sofort verliebt.
Womit eine skurrile Schnitzeljagd einsetzt mit immer neuen und durchweg bemerkenswerten Charakteren, denn das anscheinend wirklich einzige Exemplar des Buches wird offenbar immer aufs Neue ausgeliehen und Magetti tappt jedes Mal ins Leere. Und in mal traurige, mal aberwitzige bis hirnrissige Abenteuer.
Stets begleitet von seinen Zahnschmerzen, gegen die auch Schnapsspülungen nicht helfen, stellt sich heraus, dass die furchtbaren Typen von der SS das Buch inzwischen womöglich selbst verbrannt haben. Also soll Magetto wenigstens Kartenmaterial des mexikanischen Schinennetzes besorgen. Und dann hat er mit dem garstigen SS-Obersturmbannführer Kraas zu tun. Oder mit einem straffälligen Pfarrer. Oder mit Bardolf Graf, dem mutmaßlich letzten Leser des ominösen Buches.
Das Alles türmt sich auf zu einer Art Tragikomödie mit absurdem Theater zwischen „Warten auf Godot“, dem „Braven Soldat Schwejk“ und mit einer kräftigen Prise Monty Python. Die Schauplätze sind so gediegen wie das Personal und so komplex und komisch sich das alles mit zupackend geschriebener Prosa scheinbar unendlich ausbreitet – dieses Füllhorn praller Fantasie erweist sich dabei als durchweg spannendes Meisterwerk der Literatur.
# Gian Masrco Griffi: Die Eisenbahnen Mexikos (aus dem Italienischen von Verena von Koskull); 790 Seiten; Claassen Verlag, Berlin: € 36
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)