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JOYCE CAROL OATES: „DER SCHLÄCHTER“
Joyce Carol Oates, die große alte Dame der US-amerikanischen Literatur, hat in ihren zahlreich und oft preisgekrönten Romanen immer wieder auch heikle Themen angefasst. In ihrem jüngsten Werk „Der Schlächter“ aber steht ein besonders krasser historischer Hintergrund im Mittelpunkt: die sogenannte Gynäkopsychiatrie.
Das bunte Cover der deutschen Ausgabe steht dabei diametral im Gegensatz zur hier ausgebreiteten Geschichte, denn statt irgendwelcher Idylle lässt schon der Einstieg ahnen, dass die Lektüre keine fröhliche sein wird. Da setzt ein Sohn die „Anmerkung des Herausgebers“ zur Geschichte eines berühmt-berüchtigten Vaters an den Anfang.
Diesen Dr. Silas Aloysius Weir (1812-1888) hat Joyce Carol Oates historischen Vorbildern nachempfunden, die in jenen in medizinwissenschaftlicher Hinsicht großenteils dunklen Zeiten mit hemmungsloser Experimentierfreude für manchen Fortschritt gesorgt hatten. Aber auch für entsetzliches Leid.
Wie Dr. Weir, dessen selbstverfasste „Chronik eines Arztlebens“ den größten Teil des Romans ausmacht. Eigentlich ergreift er den Beruf des Arztes nur, um gegenüber dem Vater aus dem Schatten des viel begabteren Bruders zu kommen.
Dabei spricht fast alles gegen einen solchen weg, denn er kann kein Blut sehen und fällt deshalb zuweilen sogar in Ohnmacht. Zudem mag er keine fremden Körper berühren und Frauenkörper findet er besonders ekelhaft.
„Obwohl Vater die weibliche Vagina für ein Höllenloch aus Schmutz und Verderbtheit und die weiblichen Genitalien für abscheulich in Form, Funktion und Ästhetik hielt,“ so der Sohn in der Anmerkung, kam es immerhin zur Geburt von neun Kindern. Die den Erzeuger allerdings kaum interessierten.
Doch ausgerechnet diesem nur dürftig ausgebildeten Arzt fällt durch missliche Umstände 1851 die Berufung nach Trenton, New Jersey, an die „Heilanstalt für weibliche Geisteskranke“ nicht nur quasi vor die Füße, er wird bald sogar deren Leiter.
Gleich zum Einstieg dort vollzieht der chirurgisch gänzlich Unerfahrene eine hirnrissige Klitoris-Entfernung bei einem als hysterisch eingestuften Mädchen. Das sich Tage später umbringt. Die bigotten Eltern aber sind dem Doktor so dankbar wegen der Errettung der Tochter vor einem „höchst traurigen Leben als Xanthippe“, dass sie zu großzügigen Sponsoren für ihn werden.
Und es beginnt eine Gynäkologen-Karriere mit unsäglichen Stümpereien, abstrusen Experimenten und manche einer Operation, die das bedauernswerte Opfer – geisteskranke oder schwarze Sklavinnen – nur mit Glück übersteht. Nicht umsonst ordnet der selbstherrliche Anstaltschef an, dass manche Patientinnen beim Ableben nicht registriert sondern „auf null gestellt“ werden, um juristischen Nachfragen zu entgehen.
Nicht von ungefähr hängt dem umstrittenen Mediziner bald der Spitzname eines Blutdoktors an. Er aber spürt nicht den Schatten des Zweifels, wie er in seinen Aufzeichnungen offenbart: „Die Vorsehung hat mit die Hand geführt.“ Dem stehen dann nicht nur die provozierend explizit beschriebenen Schlächtereien an den hilflosen Frauen gegenüber sondern auch einige Schilderungen durch Assistenten.
So monströs wie sein gesamtes Wirken explodiert schließlich auch eine Rebellion malträtierter Opfer, doch selbst diese Blutorgie stoppt den Heilsbringer und Begründer der Gynäkopsychiatrie nicht gänzlich. So bleibt diese Geschichte bis zum Schluss ein endloser Reigen zum Grauen.
Joyce Carol Oates hat aus diesen Schreckensszenarien mit einer Mischung aus Drastik und eigenwillig elegantem Prosastil eine Art feministischen Horrorroman geformt. Das ist gekonnt, aber nicht sehr appetitlich und nichts für Zartbesaitete.


# Joyce Carol Oates: Der Schlächter (aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz); Blessing Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)