- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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KRISTIN HANNAH: „DIE FRAUEN JENSEITS DES FLUSSES“
„Es gibt keine weiblichen Veteranen aus Vietnam.“ Das behaupten sogar Kreise, die es einschlägig besser wissen müssten, gegenüber Frances „Frankie“ Grace McGrath. Sie gehört zu den Verschwiegenen, deren Geschichte lange ignoriert wurde.
Um so erstaunlicher ist der riesige Erfolg, den Kristin Hannah mit ihrem Roman „Die Frauen jenseits des Flusses“ dennoch gerade in den USA erzielt. Er setzt im Mai 1966 ein im feinen Tudor-Haus der McGraths. Sohn Finley soll die Reihe der Kriegshelden der Familie fortsetzen und dies ist seine Feier zur Verabschiedung als Marine-Offizier nach Vietnam.
Auch für seine Schwester Frankie hört sich das nach Abenteuer und ganz weit weg an. Finleys bester Freund Rye aber setzt der wohlbehüteten und erzkonservativ erzogenen Tochter einen neckischen Floh ins Ohr wegen all der Militärfotos in Vaters Arbeitszimmer: „Frauen können doch auch Helden sein.“
Tatsächlich beginnt sie eine Ausbildung zur Krankenschwester. Im Dienst wird sie dann erstmals mit einem konkreten Opfer konfrontiert, einem sehr jungen Soldaten, dem eine Mine ein Bein abgerissen hat. Von ihm hört sie von amerikanischen Frauen im Lazaretteinsatz – zum ersten Mal, denn das erwähnen die Medien nicht.
Ebenso bewegt wie naiv meldet sich Frankie nun zum Dienst im Army Nurse Coprs. Ihre Eltern reagieren entgeistert: „Wie sollen wir das den Leuten erklären?“ Doch an demselben Tag im März 1967 kommen auch zwei Offiziere ins Haus mit der Meldung von Finleys Tod: Hubschrauer abgeschossen, keine sterblichen Überreste.
Und noch im selben Monat erlebt Frankie erst den Schock von Hitze, Gestank und Kriegsgeräuschen im Feldlazarett mit 400 Betten 60 Meilen von Saigon entfernt. Noch ungleich heftiger jedoch den ersten Transport eines Massenanfalls Verwundeter. Immer neue Opfer mit entsetzlichen Verwundungen bringen die Hubschrauber.
Es ist ein Kaleidoskop des Horrors und sie sind viel zu wenige Ärzte, Krankenschwester und Sanitäter. Es ist ein endloser Job, ihre Unterkünfte sind primitiv und der einzige Halt sind die Zimmerkameradinnen Barb und Ethel, abgebrüht und zugleich beste Kumpels. Es herrschen Sarkasmus und grobe Witze, denn: „Wir lachen, um nicht zu weinen.“
Im Sommer erfährt Frankie durch einen Brief der Mutter erstmals von Protesten daheim gegen den Vietnam-Krieg, aber auch von Rassenunruhen. Ihr selbst kommen in all dem zutiefst zermürbenden Treiben erste Zweifel an der Richtigkeit dieses Krieges, als sie den heimlich geliebten Chirurgen Jamie verliert.
Doch während in der Heimat der Aufruhr immer allgemeiner wird und selbst in den Medien offen gefragt wird: „Was zur Hölle geht vor in Vietnam?!“, hängt Frankie aus Pflichtgefühl noch ein Jahr Dienst dran. Als sie dann für eine Woche zur Erholung nach Hawaii geschickt wird, trifft sie dort ausgerechnet auf den ebenfalls in Vietnam dienenden Rye.
Er verführt sie nach einer Lüge über seine aufgelöste Verlobung und sie erleben eine intensive Zeit. Wonach die folgenden Monaten einschließlich der extrem verlustreichen Tet-Offensive des Vietcong Anfang 1968 noch mehr Blut und Elend und unmittelbares Kampfgetümmel mit sich bringen.
Um so größer ist der Schock, als Frankie im März 1969 heimkehrt in ein Land, in dem sich der Wind nach der Eskalation und Meldungen über Kriegsverbrechen scharf gedreht hat. Sie wird am Flughafen angespuckt und beschimpft und Taxifahrer verweigern sich der Uniformierten. Ohnehin zutiefst traumatisiert, wird sie auch noch von den Eltern nicht nur durch deren kühle Distanz gedemütigt – sie haben ihren Einsatz im gesamten Bekanntenkreis als „Studium in Florenz“ umgelogen.
Dieser zweite Teil des packenden und höchst realistischen Romans widmet sich dieser Zeit danach, in der Frankie vor lauter Unverständnis und Verlogenheit fast zugrunde geht. Und selbst ihr Hilferuf in einer Klinik für Veteranen stößt auf eine Mauer: hier sei kein Platz für sie, denn weibliche Veteranen gebe es nicht.
Damals kannte man das PTBS (Posttraumatische Belastungssyndrom) noch nicht als solches und die einzigen, die zu einer wirklichen Hilfe werden, sind die gleichfalls traumatisierten Barb und Ethel. So endet der großartige Roman mit der Einweihung des Vietnam Memorial Walls in Washington, DC, am 13. November 1982. Unter dessen über 58.000 Namen umgekommener US-Soldaten auch acht weibliche sind, allesamt von Krankenschwestern.
# Kristin Hannah: Die Frauen jenseits des Flusses (aus dem Amerikanischen von Christine Strüh); 542 Seiten; Rütten & Loening Verlag, Berlin; € 22
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)