- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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LEON de WINTER: „STADT DER HUNDE“
Viele Jahre hat der niederländische Erfolgsautor Leon de Winter an seinem neuen Roman geschrieben und es sei vorweg gesagt: „Stadt der Hunde“ ist ein grandioses Werk geworden.
Im Mittelpunkt steht Jaap Hollander, weltweit er der genialsten Neurochirurgen. Seine Eltern hatten als Juden die Nazis in einem Versteck überlebt (wie auch Leon de Winter!). In einfachen Verhältnissen leben, hatten sie den Sohn zwar traditionell erzogen, doch nach ihrem Tod wandte er sich von jeglichen Glaubensdingen ab.
Doch auch sonst war er ein nüchterner, eher gefühlskalter Mensch. Auch für Tochter Lea hatte er keine nennenswerte Empfindungen, denn wegen ihr hatte der Frauenheld heiraten müssen: „Ein Kind aus einer Ehe, die ein Fehler gewesen war.“
Lea aber entdeckt das Judentum für sich, was ihm gleichgültig ist. Bis sie eine sogenannte Birthright- Reise nach Israel unternimmt, um als „Vaterjüdin“ Anerkennung zu erlangen. Diese Reise jedoch wird Jaaps Leben auf bittere Weise verändern, denn die 17-Jährige verschwindet mit dem jungen Mann, in den sie sich gerade verliebt hat, auf einem Ausflug in den berühmten Ramon-Krater in der Negev-Wüste.
Trotz intensiver Suche wird nie eine Spur von den Beiden gefunden. Jaap allerdings weigert sich, an Leas Tod zu glauben. Und während die ohnehin längst ins Leere gelaufene Ehe darüber zerbricht, fährt er alljährlich in den Negev und lässt nichts unversucht, um irgendeinen Anhalt für ihren Verbleib zu finden.
Zehn Jahre ist ihr Verschwinden jetzt her und Jaap mit seinen jetzt 67 Jahren ist nicht nur deutlich gealtert sondern gemäß niederländischen Bestimmungen inzwischen auch pensioniert. Er lebt allein in seiner viel zu großen Villa, gut situiert und als Gelegenheitspartnerin hat er die handfeste Witwe Greetje fürs Bett. Die ansonsten keine Ansprüche stellt.
Nun aber steht der zehnte Jahrestag an und wieder steigt Jaap im (echten) Luxushotel Beresheet ab. Als er den traditionellen Stein an der Gedenktafel für Lea am Krater ablegt, erscheint ein zutraulicher streunender Hund. Obwohl Jaap Hunde überhaupt nicht leiden kann, gibt er ihm Wasser, und wiederholt das auch später noch mehrfach.
Dann jedoch bekommt er einen überraschenden Anruf von einer mysteriösen Mitarbeiterin des israelischen Ministerpräsidenten. Eindringlich bittet sie ihn, in sehr geheimer Mission zu dem Regierungschef zu kommen, ein Hubschrauber warte bereits. In einem Tiefbunker drängt der Ministerpräsident zu einer Operation, die „einen Beitrag zum Frieden leisten könnte.“
Bei einer 17-Jährigen habe man eine lebensbedrohliche
arteriovenöse Fehlbildung festgestellt mit Malformationen bis in den Hirnstamm. Aber – so tief liegend, dass die OP-Chancen gegen Null tendieren. Jaap sei der Einzige, dem man zutraue, das Unmögliche zu schaffen.
Aber – diese Patientin ist Prinzessin Noora, Tochter des saudischen Thronfolgers! Und es gibt Pläne für sie von größter politischer Reichweite, denn der mächtige Herrscher, der als Reformer gilt, Gegner jedoch auch schon mal töten lässt , will, dass Noora einst als Königin von Saudi Arabien neue Zeiten einläutet.
Jaap glaubt nicht an ein Gelingen der OP, doch man hat ihm locker drei Millionen Dollar Honorar zugesagt. Und die will er einsetzen für eine wissenschaftliche Expedition in die Höhlen des Kraters, in der Hoffnung Spuren Leas zu entdecken. In einem faszinierenden Dialog mit der Herrscher - „Er, der Sohn des Heizölmannes, durfte den saudischen Thronfolger mit Vornamen ansprechen“ - ist diesem klar, dass Jaap das unmögliche Wagnis nur deshalb eingeht.
Dann hat er Noora auf dem OP-Tisch und in seiner speziellen Macke, sich wichtige Personen mit Namen von Filmstars zu merken, weil sein Gedächtnis für Gesichter extrem unterentwickelt ist, ist sie für ihn Liz Taylor mit etwa 17 Jahren.
Entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelingt der Eingriff, allerdings muss die weitere Heilung abgewartet werden. Jaap verweil in Tel Aviv, verfällt ins Grübeln und erkennt einerseits, dass er rein zwischenmenschlich ein Ekel und inzwischen obendrein nur noch ein „hässlicher alter Sack“ ist.
Und dann passiert ihm ein unmögliches Missgeschick: ausgerechnet auf dem Weg zum Rendezvous mit der einstigen Kollegin, der immer noch bildschönen Barbara, tritt er in einen dicken Hundehaufen. Was ihm prompt einen üblen Sturz einbringt.
Der zum Glücksfall wird, denn nur so wird das Meningeom entdeckt, das ihn sonst vermutlich bald umgebracht hätte. Doch so, wie solche Tumoren erhebliche mentale und physische Störungen verursachen können. Tun sie dies bei Jaap postoperativ. Womit nun ein geradezu surrealer Teil dieser ebenso komplexen wie anspruchsvollen Geschichte einsetzt.
Mehr aber sei hier nicht mehr verraten, denn die große Sogwirkung dieses brillant komponierten Romans sorgt auch weiterhin mit hinreißend souveräner Prosa und viel Tiefgang für ein einzigartiges literarisches Vergnügen. Das ihm Übrigen unbedingt verfilmt werden sollte.
# Leon de Winter: Stadt der Hunde (aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer); 266 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 26
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)