- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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LIZ MOORE: „DER GOTT DES WALDES“
Eigentlich ist es gar keine spektakuläre Buchidee, wenn zwei Kinder während eines Sommerferienlagers verschwunden und es da neben mehreren Verdächtigen auch noch einen Unhold gibt, der sich in den dichten Wäldern des Naturreservats herumtreibt.
Was die US-Erfolgsautorin Liz Moore in ihrem neuen Roman „Der Gott des Waldes“ daraus jedoch gemacht hat, ist nicht weniger als ganz große Literatur. Die Geschichte setzt im August 1975 ein, als die 23-jährige Camp-Betreuerin Louise das Bett von Barbara in der Holzhütte am Morgen leer vorfindet.
Der Schrecken ist schon deshalb heftig, weil diese 13-Jährige, die kaum einer hier mag, ausgerechnet die Tochter der van Laars ist. Eine der alteingesessenen Familien, der nicht nur dieses Camp gehört sondern gewissermaßen die ganze Gegegnd mit entsprechendem Verhalten gegen die vielen von ihnen Abhängigen.
Vor allem aber verschwand hier vor 14 Jahren schon einmal ein Kind der van Laars. Der damals achtjährige Sohn mit dem Spitznamen „Bear“ tauchte unter und es wurde nie mehr eine Spur von ihm gefunden. Seltsam erschien manchen damals jedoch die schnelle Einstellung der Suche, weniger dagegen das Abdriften von Bears sehr junger Mutter in die Medikamentenabhängigkeit und psychische Labilität.
Barbara war das später geborene „Ersatzkind“, das allerdings mit seinem rebellischem Wesen wenig gelitten war in der dünkelhaften Familie. Aber – gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Verschwunden der beiden Kinder? Und vor allem: lebt das Mädchen noch? Forderungen eines Entführers bleiben jedoch aus.
Andererseits werden die hektischen Ermittlungsarbeiten von heftigen Anschuldigungen seitens der van Laars begleitet. Louise hat es besonders schwer, denn sie war in der Nacht heimlich auf einer Party. Und dann ist da die junge Kriminalbeamten Judy Luptack, die zwar sehr clever ist, als – es sind die 70er Jahre! - aber nicht nur von den männlichen Kollegen nicht recht ernst genommen wird.
Immer wieder wechseln die Perspektiven mit den durchweg exzellent gezeichneten Charakteren. Zugleich springt das Geschehen zwischen den Zeitebenen, mal führt es in die 50er Jahre, mal in das Jahr von Bears Verschwinden und dann schließlich in diesen schicksalhaften Sommer 1975.
Stets sind es die Frauen, die sehr eigene Rollen innehaben wie T. J. Hewitt, die Camp-Leiterin, die sich am wenigsten vom Auftreten der van Laars beeindrucken lässt. Louise dagegen hat ihre eigenen Probleme mit einer versoffenen Mutter und den Anschuldigungen gegen sie. Dann ist da die zwölfjährige Tracy, offenbar die Einzige, mit der Barbara vertraut war – weiß sie mehr, als sie zugibt?
Noch spannender wird es durch Gerüchte, dass sich ein ausgebrochener Serienmörder in den Wäldern verstecken soll. Und tatsächlich wird dieser Jacob Sluiter gefasst, doch als Judy Luptack ganz nah an der Wahrheit zu sein scheint, verdrängen ihre Macho-Kollegen sie von dem Fall.
Immer fesselnder wird das Wechselspiel der Handlungsstränge, zugleich wird das alles brillant erzählt (und übersetzt!) und berührt nicht nur menschlich.
Mit überzeugender psychologischer Tiefgründigkeit offenbart dieser Kriminalroman, der längst zum Thriller geworden ist, aber auch unübersehbar ganz viel Sozialkritik. Wie die sehr Reichen ihre Macht ausspielen und wie viel schwerer als noch heute die Frauen es in der Gesellschaft hatten, ist elegant eingeflochten und macht „Der Gott des Waldes“ vor allem auch zu einem großen Gesellschaftsroman.
Und der bleibt bis zuletzt spannend und überraschend und das Urteil kann nur lauten: ein literarisches Meisterwerk, das in den Bann schlägt.
# Liz Moore: Der Gott des Waldes (aus dem Marikanischen von Cornelius Hartz); 588 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 26
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)