- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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MATT HAIG: „DIE UNMÖGLICHKEIT DES LEBENS“
Die 72-jährige verwitwete Mathematiklehrerin Grace Winters lebt freudlos vor sich hin. Bis sie völlig überraschend die Mitteilung über eine Erbschaft erhält., nach der eine einstige Kollegin ihr ein Haus auf Ibiza vererbt hat.
Bettlektüre für ältere Damen? Ganz und gar nicht, denn dies ist der neue Roman des britischen Erfolgsautors Matt haig und der entführt mit siner Neigung zum Magischen Realismus in eine Geschichte, die umgehend eine starke Sogwirkung entwickelt und immer neue, überzeugende Überraschungen bereithält.
„Die Unmöglichkeit des Lebens“ lautet der titel und der hat eine geschickte Klammer mit einem einstigen Schüler der alten Dame. „Ich stehe in der Finsternis und brauche Licht“, wendet sich dieser Maurice an Grace. Und statt dem Mathe-Studenten in seiner Lebenskrise Ratschläge zu erteilen, sendet sie ihm die Geschichte dieser Erbschaft.
Da sie die natürlich in der Ich-Form vorbringt, entsteht ein sehr persönlich fesselnder Eindruck des Erzählens. Zunächst berichtet sie Maurice von der „Anhedonie“, unter der sie seit Jahren litt. Das sei die Unfähkeit, Freude zu empfinden – keine Depression, nur ein Mangel. Der Ursprung war bei ihr der tödliche Unfall ihres elfjährigen Sohnes und vor vier Jahren kam noch das Ableben von Ehemann Karl hinzu.
Und in dieses graue Leben kam nun die Nachricht der unwahrscheinlichen Erbschaft. Christina van der Berg habe ihr ihr Haus auf der Balearen-Insel vermacht. Dabei kannten sie sich eher flüchtig im 1979, doch dieses Vermächtnis sei der Dank „für eine liebe Geste vor langer Zeit.“
Grace hatte der jungen Kollegin in einer Lebenskrise ein tröstendes Weihnachtsfest beschert. Und sie war es auch gewesen. Die der Musiklehrerin mit der schönen Singstimme nahelegte, das Angeboit nach Spanien zu gehen, auch wirklich zu nutzen. Doch warum soll ausgerechnet sie jetzt erben?Gibt es keine Verwandten? „Selbst die vorhersehbarsten Dinge enthalten immer ein Element des Unvorhersehbaren“, sagt sich die eher nüchterne Mathe-Lehrerin, hat aber ja erstens nichts zu verlieren und zweitens macht es sie neugierig, woran Christina eigentlich gestorben ist.
Also fliegt Grace mit einem One-Way-Ticket nach Iniza und findet das geerbte Haus vor: eher eine Bruchbude. Erste Nachfragen nach Christinas Leben dagegen stoßen auf Schweigen. Da offenbar auch ein gewaltsames Ende nicht auszuschließen ist, bohrt Grace weiter. Bei der Polizei herrscht allerdings Desinteresse und auch sonst erfährt sie allenfalls Andeutungen, was der leidenschaftlichen Taucherin in jener Nacht passiert sein könnte.
Die Spurensuche wird immer spannender, vor allem als Grace sich zu dem Tauchlehrer Alberto Ribas begibt, obwohl man sie vor ihm gewarnt hat. Doch es muss sein, denn der alte Haudegen war offenbar nicht nur ein Vertrauter Christinas. Im Haus gab es auch das von ihm verfasste – und hier titelgebende – Buch „die Unmöglichkeit des Lebens“.
Grace erfährt immer neue überraschende Dinge über Christina, insbesondere, dass sie nicht nur vor vier Jahren als Sängerin einen Ruf auf der mondänen Urlauberinsel hatte, sondern zuletzt als Wahrsagerin mit erstaunlicher Trefferquote gewirkt hatte. Und – sie hatte ihren eigenen Tod vorausgesagt!
Da wird es schließlihj zu einer gewagten Heruasforderung, als Grace sich darauf einlässt, mit Alberto eine mitternächtliche Bootsfahrt zu unternehmen. Auf der geheimnisvolle Dinge geschehen, die mit „La Presencia“ ein Fantasy-Element in diesen längst unentrinnbaren Roman bringen.
Wie sich Grace verändert, welche Rolle geldgierige Geschäftsleute als skrupellose Umweltfrevler spielen, und wie das alles dann auch ein gerade surreales Finale zutreibt – das ist glänzend geschrieben, soll hier aber nicht näher verraten werden. Und es sei betont, dass die agierenden Charaktere trotz Fantasy-Anklängen absolut glaubhaft und wirklichkeitsnah gezeichnet sind.
Christina hatte Grace die Botschaft mitgegeben, für alles „offen“ zu sein, und die wurde dafür reich belohnt. Leser, die es genau so halten, werden mit diesem meisterhafte, tiefgründigen Roman ebenso belohnt.
# Matt Haig: Die Unmöglichkeit des Lebens (aus dem Englischen von Sabine Hübner, Bernhard Kleinschmidt und Thomas Mohr); 409 seiten; Droemer Verlag, München; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)