- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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SARAH HARDY: „DER ERSTE FRÜHLING DANACH“
Wenn man den Titel „Der erste Frühling danach“ und das blumige Cover-Foto dazu betrachtet, könnte man einen herzigen Liebesroman vermuten. Doch die zentrale Botschaft von Sarah Hardys Debüt weist in eine ganz andere, viel ernstere Richtung: „Niemand überlebte den Krieg unversehrt.“
Die Autorin lebt in Suffolk an der rauen englischen Ostküste und dort im Dorf Oakbourne spielt sich auch das Geschehen ab. Man schreibt das Jahr 1946 und nach sieben Jahren zieht der erste Frühling in Friedenszeiten herauf.
Im Mittelpunkt stehen hier Sir Stephen Rayne und seine Frau Alice. Der Familiensitz Oakbourne Hall war im Krieg von der kanadischen Armee genutzt worden und ist ein Sanierungsfall. Doch das dafür fehlende Geld ist ein nebensächliches Problem für die knapp 30-jährige Alice. Als wirklich bedrückend erweist sich vielmehr Stephens Zustand.
Als sie heirateten, war er ein brillanter junger Diplomat, der nebenher Gedichte schrieb. War er da eine sanfte Seele, hat sie jetzt sogar Furcht vor einem möglichen Ausbruch des verschlossenen, verbitterten und zynischen Kriegsheimkehrers. Erst im Oktober 1945 war er zurückgekommen und im November 1943 hatten sie eine letzte glückliche Nacht gehabt, bevor er zu einem erneuten Geheimauftrag aufbrechen musste.
So geheim, dass Alice nicht einmal wusste, wo und als was er im Einsatz war. Vor allem aber drückt sein Schweigen, mit dem er sich völlig zurückzieht und nur noch in seinem Dachzimmer haust. So sehr sich Alice auch um eine Annäherung bemüht, stößt sie nur auf eine starre Mauer und gelegentliche zynische Abweisungen.
Es müssen tief prägende Erlebnisse im Krieg sein, die den einst so liebevollen Ehemann so verändert haben. Womit er jedoch nur einer von Heerscharen von Männern ist, die im Krieg Schlimmes durchgemacht haben, Unmenschliches erlebten oder selbst verüben mussten. Wie auch der Arzt Jonathan Downes, einst ein brillanter Chirurg, den der Kriegseinsatz einschließlich fünf Jahre Gefangenschaft nicht nur ein Bein gekostet hat. Mit seinen zitternden Händen reicht es gerade noch zum Dorfdoktor. Entsprechend deprimiert und dauerhaft gereizt ist er, woran auch die liebevolle Ehefrau Jane als versierte Krankenschwester kaum etwas ändern kann.
Als dann mit dem jungen George Ivens ein neuer Gemeindepfarrer ins Dorf kommt, der keinen Kriegsdienst geleistet hat, muss ihn dennoch niemand beneiden. Ein schweres Leiden in der Jugend hat ihm ein schwaches Herz beschert und man sieht es ihm an. Dennoch macht ihn sein glauben stark und er wird schließlich zu einer Art Katalysator.
Nachdem es bereits früh zu einem komplexen Gespräch bei seinem Antrittsbesuch in Oakbourne Hall komm, stoßen Ivens und Sir Stephen ausgerechnet in der Kirche heftig aufeinander. Dabei bricht jedoch etwas in Stephens Innerem auf, nachdem erst nur gallige Angriffe auf die Gottgefälligkeit erfolgten.
Allmählich wird das Grauen erkennbar, das der als Mitglied der legendären britischen Spezialkommandos offenbar brillante Offizier in Frankreich durchlebt hat. Das nach langen Einsätzen in einer schicksalhaften persönlichen Schuld gipfelte, die ihn aufs Tiefste quält und deprimiert.
Es verbietet sich, dieses Trauma hier näher zu beschreiben, doch Sephen gehört wie so viele Kriegsüberlebende zu den Menschen, denen ihr Erleben wie auch das eigene Tun solch tiefe Narben hinterlassen haben, dass sie größte Mühe haben, in die Normalität des Alltags zurückzukehren.
Sarah Hardy hat ohne einen spektakulären Handlungsbogen einen fesselnden Roman geschrieben, der vor allem eines ist: authentisch. Aber auch anspruchsvoll und schonungslos offen mit seiner tiefgründigen Menschlichkeit. Da passt dann der Epilog, der Hoffnung offenbart, das, was diese Menschen am dringlichsten brauchen. Fazit: ein guter und grundsätzlich zeitloser Roman.
# Sarah Hardy: Der erste Frühling danach (aus dem Englischen von Stefanie Fahrner); 411 Seiten; Heyne Verlag, München; € 22
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)