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DAVID SHEFF: „YOKO. DIE BIOGRAFIE“
Als Yoko Ono gefragt wurde, ob Sie John Lennons Mörder verzeihen könne, wie es Papst Johannes Paul II. getan hat, sagte sie nur: „Ich bin nicht der Papst.“
Die Witwe des Beatles auf ihre 14 Jahre mit dem Rockstar und ihre ungebrochene Trauer zu reduzieren, würde ihrer einzigartigen Vita jedoch in keiner Weise gerecht. Um so verdienstvoller ist deshalb die Biografie, die David Sheff unter dem schlichten Titel „Yoko. Die Biografie“ jetzt veröffentlicht hat.
Schon der Prolog ist ein ebenso fesselndes wie berührendes Stück Literatur und Wegweiser zu einer grandiosen Biografie über eine wahrlich außergewöhnliche Persönlichkeit. Und es gibt gute Gründe, warum diese Chronik eines faszinierenden Lebens die vielen bisherigen Veröffentlichungen zu Yoko Ono weit hinter sich lässt und außerdem die uneingeschränkte Zustimmung von Sean, dem einzigen Kind von Yoko und John erhielt.
Selbst gerade 24 Jahre alt, wurde er von dem Künstlerehepaar bei dessen Neustart der künstlerischen Arbeit für ein Interview im „Playboy“ akzeptiert. Und mehr als das: als er im September erstmals ins Dakota-Building in New York City kam, wurden aus den vielen Gesprächen und Gesprächen drei Wochen und das längste Interview, das die Beiden jemals gaben.
Als ihnen am 7. Dezember 1980 der fertige Entwurf vorgelegt wurde, gefiel ihnen das Ergebnis. Am 8. Dezember 1980 erfuhr David Sheff dann in einer Unterbrechung einer großen Sportsendung im Fernsehen von dem entsetzlichen Attentat eines Irren auf John. Während sofort eine weltweite Trauerwelle einsetzte, eilte Sheff noch in der Nacht nach New York und schaffte es durch seine Vertrauensstellung in die Wohnung und zu Yoko.
In den Wochen mit der zutiefst erschütterten Witwe und dem fünfjährigen Sean erwuchs eine sehr enge, tiefe Freundschaft. Die später auch zu vielen gemeinsamen Reisen und Begleitungen ihrer internationalen künstlerischen Tätigkeit führten.
Diese einzigartige Nähe erklärt denn auch die bis in sehr private Details gehende Lebensbeschreibung. Die der Autor mit der Kindheit und Jugend eröffnet, die viele Traumata hinterließ. Yoko – japanisch für „Kind des Ozeans“ - wurde am 12. Februar 1933 in Tokyo in eine der reichsten Familien Japans geboren, doch ihre Eltern waren kalt und distanziert, obendrein wurde das Mädchen völlig isoliert aufgezogen.
Auch die Jugend blieb vom meist abwesenden Vater und der dünkelhaften Mutter geprägt als eine Zeit der Einsamkeit und der mangelnden Zuwendung. Am Ende des Zweiten Weltkriegs kamen dann noch bittere Zeiten der Not hinzu. Das hochintelligente Mädchen brach später Studiengänge ab, lebte dann aber zeitweise bereits über den Banker-Job des Vaters in New York City.
Zu ihren Ausbildungen gehörte unter anderem auch Gesang und wer sich an die Verrisse wegen ihres „jaulenden, unmelodiösen Gekreisches“ erinnert, erfährt hier, dass sie im Deutschen Lied und im Operngesang ausgebildet wurde. Die eigentliche Entwicklung aber war die zur Avantgarde-Künstlerin, die sich schon bald einen Ruf erwarb, zum Beispiel mit ihrer legendären „Cut Piece“-Performance.
Teil 2 der Biografie ist mit „The Ballad of Yoko and John“ überschrieben, die mit der ersten Begegnung am 14. September 1966 in London einsetzt. Wobei die inzwischen 92-Jährige nicht ausschließt, dass es ihre Kunst war, die seine Aufmerksamkeit erregte und erst danach sie selbst.
Doch damit setzte auch jene fragwürdige Berühmtheit ein, bei der die längst selbst berühmte kleine Künstlerin (1,58 m) zur größte Hexe dämonisiert wurde, die die übergroßen Beatles gesprengt habe.
Hier aber wird klargestellt: es war sogar eher umgekehrt und ohne Yokos Einfluss auf John wären Schätze der Rockmusik wie die Alben „Abbey Road“ und „Let it be“ gar nicht mehr entstanden. John war der Beatles-Aktivitäten so überdrüssig geworden, dass er das Quartett eigentlich verlassen wollte.
Da war es immer wieder Yoko, die ihn drängte, zu den Aufnahmen ins Studio zu gehen. Eine durchaus überraschende Darstellung, die allerdings vom Dauerbegleiter der Beatles Klaus Voormann bestätigt wurde. Wobei auch hier außer Frage steht, dass sich die anderen Beatles mit Yokos ständiger Anwesenheit im Studio schwer taten.
Aber auch die Folgejahre mit den Solo-Projekten wie der Plastic Ono Band erwiesen sich spannend mit manchen Details, die zumindest aus Yokos Sicht anders waren als kolportiert. Und dann passierte diesem Paar, das sein einzigartiges Lebensglück darin sah, dass sie wie mit niemand sonst „auf einer Wellenlänge“ waren, jener Bruch des „Lost Weekend“.
So nannte John diese 18 Monate der Trennung mit vielen Tiefen für beide. Während der Yoko jedoch mit Konzerten und Friedensaktivitäten und als Pionierin der Avantgarde weiter ins Rampenlicht trat. Um so beglückender dann die fünf Jahre der Wiedervereinigung mit dem einzigartigen Glücksfall des gemeinsamen Kindes.
Sean wurde am 9. Oktober 1975 gewissermaßen als Geschenk zu John 35. Geburtstag geboren. Und über Yoko schreibt David Sheff hier: „Nach einem Leben voller Chaos und Krisen erlebt sie eine Art von Frieden, den sie nie zuvor gekannt hatte.“ Dann aber die Chronik des 8. Dezember 1980 mit bewegenden Worten, nach denen man ahnt, wie mühsam sich Yoko nach etlichen von Depressionen motivierten Suizidversuchen in jungen Jahren nur aus Verantwortung für den Sohn am Leben hielt.
Wie der dritte Teil „Yoko only“ zeigt, war auch das ein großes Geschenk an die Welt. Auch wenn sie noch jahrelang Anfeindungen und sogar Bedrohungen erleben musste, als geniale Pionieren wie auch als Aktivistin für Frieden, Umwelt und Feminismus fand sie nicht nur viel Befriedigung sondern auch Anerkennung.
Seit dem Jahr 2000 gab es weltweit Retrospektiven ihrer vielfach bahnbrechenden Kunst. David Sheff hat auch dies journalistisch genau und zugleich aus großer Nähe und mit Gespür für die Gedanken- und Gefühlswelt der Porträtierten so exzellent geschrieben, dass es bis zuletzt fesselt und berührt.
Fazit: zweifellos die ultimative Biografie zu einer der wichtigsten Künstlerinnen der letzten 60 Jahre.


# David Sheff: Yoko. Die Biografie (aus dem Amerikanischen von Conny Lösch und Henning Dedekind); 416 Seiten, div. SW-Abb.; btb Verlag, München; € 26
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)