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ILKO-SASCHA KOWALCZUK: „WALTER ULBRICHT“ Bd. 2
Als der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk vor einem Jahr Teil 1 der umfassenden Biografie „Walter Ulbricht. Der deutsche Kommunist“ vorlegte, hatte dieses überaus faktengesättigte Werk neben vielen anderen eine besonders herausragende Qualität: es eröffnete die Grundlage für alles, was sich ab dem Jahr 1945 mit und durch Ulbricht entwickelte.
Nun hat Kowalczuk, einer der besten Kenner der Geschichte der DDR, Band 2 folgen lassen unter dem Titel „Walter Ulbricht. Der kommunistische Diktator“. Darin geht es nun um die gesamte Ära von der Ankunft der „Gruppe Ulbricht“ in Berlin in den letzten Kriegstagen bis zum Tod des abgesetzten Machthabers während der Weltfestspiele von 1973.
Aus dem Moskauer Exil ins sowjetisch beherrschte Berlin führte ihn der Weg und der war in der Folge geprät von weltbewegenden Ereignissen wie der Gründung von BRD und DDR im Jahr 1949, vom Volksaufstand von 1953, vom Mauerbau 1961 und der Beteiligung an der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968.
Anhand akribischer Recherchen macht Kowalczuk stets deutlich, dass der Kommunist, der die Nazis und auch die stalinistischen Säuberungen geschmeidig überlebt hatte, das Vertrauen Josef Stalins genoss, jedoch auch nach dessen Tod 1953 stets den Weisungen des „großen Bruders“ folgen musste. Was Rudolf Augstein nach einem SPIEGEL-Interview mit Ulbricht in den 50er Jahren zu dem hämischen Kommentar brachte, Ulbricht gebe wie ein Unteroffizier jedes Räuspern der jeweiligen Kreml-Herrscher nach unten weiter.
Immerhin stieg Ulbricht in den 50er Jahren vom formellen zweiten oder dritten Mann im Staat 1960 mit der Wahl zum Staatsratsvorsitzenden auch offiziell zum mächtigsten Mann der DDR auf. Spätestens ab hier war die Bezeichnung „kommunistischer Diktator“ angemessen und diese Macht übte er absolut und mit kalter Härte aus.
Und nachdem er bereits mehrere Krisen bewältigt hatte ging er nun – natürlich mit Erlaubis aus Moskau – gegen den wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Aderlass vor mit jener historischen Tat, die ihn unsterblich machte: den Bai der Mauer im August 1961 – quasi ein Terrorakt gegen das eigene Volk.
Dazu wird auf eindrückliche Weise akribisch Charakter und Handlungsweise des Mannes dargelegt, dessen Richtschnur einzig die „marxistisch-leninistische Wissenschaft“ war. Daraus erwuchs als Allzweckwaffe die Staatsdoktrin des Antifaschismus. Die zugleich pro-sowjetisch wie auch anti-westlich und anti-sozialdemokratisch war. Wozu der Autor auch viel Erhellendes über die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED als alleinherrschende Partei in der DDR schreibt.
Doch wie in Band 1 zeigt auch dieser Band dazu die private Seite dieses Diktators. Der ein detailversessener Workaholic war, der außer einem Faible für etwas Sport gänzlich bedürfnislos lebte. Zugleich war dieser humorlose Mann in seiner lange Zeit unumschränkten Machtausübung emotions- und gefühllos. Freundschaften schloss er nicht, mischte sich aber mit viel Bevormundung in alles möglich ein.
Aufschlussreich lesen sich außerdem die Krisenzeiten und Ulbrichts Blütezeit nach dem Mauerbau, als er sich sogar den Anflug eines gütigen Landesvaters gab. Ums op komplexer erscheinen all die Wirtschafts- und Systemprobleme, die er überwiegend mit Dogmatismus anging.
Und so unumstößlich seine Beschlüsse waren und ririker daran als Feinde in Ungnade fielen, so musste sich Ulbricht 1971 dennoch dem Ukas aus Moskau beugen. Es wurde ein perfider Sturz des gealterten Diktators, aber er verlief ohne Gewaltanwendung. So weggeputscht, geriet er umgehend völlig ins Abseits und als er 1973 während der Weltfestspiele starb, sah die neue Führung unter Erich Honecker keinen Anlass, die Festivitäten dafür zu unterbrechen.
Walter Ulbricht als Schöpfer der DDR und zugleich deren unerbittlicher Diktator als Bild des gewieften Funktionärs von kalter Machtausübung – nach Band 1 mit dem Werden nun dessen Schalten und Walten. Fazit: ein Opus Magnum und das Non-plus-ultra als Standardwerk zu diesem Thema.
# Ilko-Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht. Der kommunistische Diktator; 956 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 58

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)