- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Kinder- & Jugendbücher
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K.J. REILLY: „DAS VERHALTEN ZIEMLICH NORMALER MENSCHEN“
„Meine Mutter ist gestorben, und alle sagen, dass ich nicht gut damit umgehe.“ Das ist der erste Satz eines außergewöhnlichen Jugendromans, der sich mit Trauer und ihrer Bewältigung befasst, ohne dabei zu sehr mit Erdenschwere herabzuziehen.
Asher Hunting ist 17 und seine Mutter seit nunmehr zwölf Monaten tot. Und weil er noch immer völlig durch den Wind ist, schickt ihn seine Vater zu Selbsthilfegruppen. Wo Ich-Erzähler Asher die Teilnehmer mit der schlichten Aussage schockiert, er habe sie umgebracht.
Damit beginnt „Das Verhalten ziemlich normaler Menschen“, der bereits preisgekrönte neue Roman von K. J. Reilly, ihres Zeichens studierte Psychologin. Man erfährt jedoch in den Grübeleien des Teenagers, dass nicht er schuld hat, allerdings eine Kettenreaktion, deren Auslöser er sich vorwirft.
Jemand hatte in der Highschool seine besonderen Sportschuhe geklaut, die er für ein wichtiges Spiel in den nächsten Tagen unbedingt brauchte. Er kann seine Mutter überreden, ihm schnell neue zu kaufen. Kurz vorm Einkaufszentrum prallt sie mit einem Lastwagen zusammen und stirbt. Asher nennt den Verursacher nur „Jack Daniels“, denn er war betrunken.
Doch da drückt ihn nicht nur unendliche Trauer nieder, da tobt auch Wut in ihm. Weil die Polizei versäumt hat, einen Alkoholtest zu machen, kommt der Unfallverursacher aus juristischen Gründen sogar ungestraft davon. Und während Asher auf Rache sinnt, stößt er bei den Therapierunden auf drei Menschen, für die ihre rauer ebenfalls offenbar unüberwindlich ist.
Da ist zunächst der wirre alte Henry, der noch immer die Urne seiner Evelyn mit sich herumschleppt. Der gleichaltrige Will trauert um seinen kleinen Bruder und die dauerhaft grimmige Sloane trägt die Kleidung ihresVaters. Er verstarb an Krebs und sie kann und will ihn nicht vergessen.
Als Asher diese drei zu einem Roadtrip über 1700 Kilometer bis nach Tennessee einlädt, sind sie sofort einverstanden. Er „leiht“ sich den Wagen seines Vaters aus und es geht los. Was ihn treibt: „Jack Daniels“ lebt offenbar in Memphis und Asher will Rache an ihm nehmen.
Was er den drei Begleitern natürlich ebenso verschweigt, wie die ihre sehr eigenen Beweggründe für das Mitreisen für sich behalten. Damit beginnt eine tagelange Reise, die sich schon deshalb hinzieht, weil der alte Henry darauf besteht, dass sie nicht schneller als 35 Meilen pro Stunde (ca 56 km/h!) fahren und das auf den typisch geräumigen amerikanischen Highways.
Und bei all der Trauerbewältigung hat dieser wundersame Roman nicht nur eine gewisse Leichtigkeit, die vier Protagonisten haben jeder ihre ganz eigene Geschichte und Eigenschaften. Da stößt Ashers spezieller Witz auf die Warmherzigkeit Wills und den Mut Sloanes.
Bei Henry entwaffnet allein schon seine Langsamkeit und so steuern sie in immer neue kuriose Situationen. Verraten sei aber nur noch so viel: niemand wird umgebracht, aber alle Vier werden zwar nicht von ihrer Trauer geheilt, doch sie lernen damit umzugehen. Fazit: ein kluger und bis zuletzt fesselnder Roman, der nicht nur für junge Leser ab etwa 14 ein unvergessliches Lesevergnügen bereitet.
# K. J. Reilly: Das Verhalten ziemlich normaler Menschen (aus dem Amerikanischen von Ute Mihr); 338 Seiten, Klappenbroschur; dtv Verlag, München; € 16
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)