- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Sachbücher
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YUVAL NOAH HARARI: „NEXUS“
Im Jahr 2006 hatte Yuval Noah Harari mit seinem gesellschaftskritischen Sachbuch „Homo Deus“ einen Welterfolg. Nun hat der israelische Historiker und Philosoph nachgelegt und eine zentrale Feststellung trifft er bereits im Prolog über das, was seither geschehen sei: danach „hat die Menschheit tatsächlich einen Teil ihrer Macht an Algorithmen verloren.“
Wie mit einem extrem scharfen Mikroskop untersucht Harari, einer der einflussreichsten Intellektuellen unserer Zeit, die Gegenwart und tut dies mit einer großen Übersicht als „Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz“. Und eines sei vorweg gesagt: so spröde sich dieser Untertitel anhört, so intelligent und fesselnd liest sich der Inhalt.
Im ersten Teil des Buches schildert der 48-Jährige die historische Entwicklung von den Mythen in antiken Zeiten über das Aufkommen des Buchdrucks bis hin zum modernen Staat, der wie seine Gesellschaft wesentlich auf funktionierenden Informationsnetzwerken aufgebaut ist.
Die brisanten Erkenntnisse aber werden bereits im spannenden Prolog benannt, wenn es um die Nutzung jener Informationsnetzwerke geht. Wie sie als düstere Beispiele von Nationalsozialismus und Stalinismus genutzt mit ihren Wahnvostellungen erfolgreich genutzt wurden. Wo es dann an der Art der Gesellschaft und ihren Kontrollmechanismen liegt, wie Informationen, Wahrheit und Wirklichkeit zu Nutzen und Frommen der Menschen oder ihrer Herrscher eingesetzt werden.
Harari macht kein Hehl aus seiner tiefen Skepsis gegenüber der KI und beklagt in dem Zusammenhang das naive Informationsverständnis als gefährliche Bedrohung bis hin zu Existenz der Menschheit. Dazu benennt er typische und zugleich beunruhigende Beispiele für das unkritische Lob für die Segnungen der KI.
Da glaubte US-Präsident Barack Obama 2009 in öffentlicher Rede: „Je freier Information fließt, desto stärker wird diese Gesellschaft.“ Und Google steht sogar mit seinem Leitbild zu den Verheißungen des unbegrenzten Informatiosnflusses: „Unsere Mission ist es, die Informationen dieser Welt zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen.“
Doch der kritische Punkt sei erreicht, so der Historiker, wo der immense Nutzen der KI mit seinen unvorstellbaren Datenwerken für jegliche Problemlösungen menschliche Fähigkeiten übersteigt, zum Anderen aber mangels Beherrschbarkeit – und wegen des fehlenden ethischen Kompasses ohne eigenes Bewusstsein – zur existentiellen Bedrohung der Menschheit werde.
Schon die ausufernden Exzesse mit Hilfe der Social Media, mit denen autokratische Staaten wie auch jegliche Populisten Informationsnetzwerke nur als Machtinstrumente mit Informationen ausschließlich als Waffe nutzen. „Die Erfindung der KI ist potentiell bedeutsamer als die Erfindung des Telegrafen, des Buchdrucks oder sogar der Schrift, denn die KI ist die erste Technologie, die in der Lage ist, selbstständig Entscheidungen zu treffen und Ideen zu entwickeln.“
Harai warnt vor den Anfängen mit einem Datenkolonialismus und er mahnt wenig optimistisch, dass derjenige, der den Konkurrenzkampf um die KI gewinne, die Weltherrschaft erringe. Schon heute sei der einstige Eiserne Vorhang durch einen Silicon Curtain ersetzte worden und das größte Problem sei der in blauäugiger Hoffnung auf all die Segnungen der KI heraufziehende Kontrollverlust gegenüber dieser.
Yuval Noah Harari zeichnet eine ebenso brillantes wie erschreckendes Menetekel, doch keines für eine heraufziehende Zukunft – die hat längst begonnen.
# Yuval Noah Harari: Nexus (aus dem Englischen von Jürgen Neubauer und Andreas Wirthensohn); 655 Seiten; Penguin Verlag, München; € 28
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)