- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Sonstiges
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LUTZ JÄKEL: „SAUDI ARABIEN“
Über 60 Prozent der Bürger Saudi Arabiens sind jünger als 30 Jahre. Da viele junge Saudis in den Metropolen Europas und Amerikas studieren, wissen die meisten von ihnen besser Bescheid über den Westen als wir über den Nahen Osten.
Insbesondere aber trifft das zu auf das Königreich Saudi Arabien mit seinen rund 33 Millionen Einwohnern auf einer Fläche sechs Mal größer als Deutschland. Was jedoch weniger mit Ignoranz gegenüber dem superreichen Öl-Staat zu tun hat als vielmehr mit dessen strikter Abschottung. Nur Pilgerreisende, Gastarbeiter und Geschäftsleute wurden hereingelassen.
Bis 2019 und den großen Reformen des jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Seither gibt es Touristen-Visa und ein solches nutzte dann auch Lutz Jäkel für eine ausgiebige Erkundungsreise durch das Land.
Nun liegt der opulente Reisebildband „Saudi Arabien: In einem Land voller Kontraste“ als höchst aufschlussreiche Reportage vor. Mit Auto, Bus und Bahn bereiste der Fotojournalist das Land und profitierte natürlich davon, dass er nicht nur Islamwissenschaftler ist sondern auch bereits durch Zeiten in anderen Ländern der islamischen Welt sprachkundig ist.
Eine erste Erkenntnis Jäkels war der krasse Unterschied zwischen der Außenwirkung des selbstbewussten Staates und den Realitäten vor Ort. Saudi Arabien stehe im Umbruch zwischen Tradition und Transformation in die Moderne. Was dann neben der Fülle prachtvoller und oft erstaunlicher Bilder immer wieder auch seine Erfahrungen belegen.
Bilder von Cafés, in denen junge Frauen mit offenen Haaren mit Männern zusammensitzen, eine 32-jährige DJ im Disco-Look mit langer Mähne, die den Feiernden einheizt, und sogar Lokführerinnen auf Hochgeschwindigkeitszügen – alles noch vor sechs Jahren bei drastischen Strafen streng verboten!
Immer wieder stieß der wissbegierige Reisende auf Widersprüche und Mehrdeutigkeiten. Diese kaum glaublichen Liberalisierungen beruhen auf dem großen Sprung, den Mohammed bin Salman, allgemein nur MbS genannt, seit seinem Machtantritt angeordnet hat.
Als er 2019 das Verschleierungsgebot und die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit aufhob, gehörte das zu seiner „Vision 2023“, die der knapp 40-Jährige 2016 verkündete. Und er setzte diesen Umbruch in dem Staat, in dem der Wahhabismus gilt mit einer puristischen und ultrakonservativen Interpretation des Islam, höchst geschmeidig durch.
„So bieten die autoritär regierten Länder der Goldregion, auch Saudi Arabien, ihren Bevölkerungen einen Deal an: Wir öffnen und liberalisieren uns gesellschaftlich und ökonomisch, sorgen für möglichst breiten Wohlstand, dafür bleiben die politischen Verhältnisse – also die Macht der absoluten Herrscher – unangetastet, unhinterfragt“, so Lutz Jäkels Analyse des lange für unmöglich gehaltenen Wandels.
Und der Fortschritt schreitet mit Riesenschritten voran, denn Saudi Arabien ist dank des Öls superreich. Dennoch hat der Autor neben glitzernden Metropolen mit atemberaubenden Bauten auch ganz anderes gesehen, alte städte mit teils verfallenden Vierteln, zu erreichen über Autobahnen, die oft hunderte Kilometer geradeaus durch die Wüste führen.
Er hat mit vielen Menschen gesprochen, die sehr freundlich, recht offen und immer männlich waren. Und liest mit gewisser Verwunderung, dass es 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit gibt und rund ein Fünftel der Saudis an der Armutsgrenze lebt. Zugleich ist Saudi Arabien auch „Digitalland“ bis in den letzten Dorfladen und auf dem machtvollen Sprung zum Tourismus-Paradies – das allerdings auf dem Niveau fünf Sterne plus.
Fazit: ein erst seit kurzem möglicher faszinierender Blick in ein ungeheuer vielfältiges, facettenreiches Land voller Gegensätze.
# Lutz Jäkel: Saudi Arabien: In einem Land voller Kontraste; 192 Seiten, div. Abb., Mittelformat; Knesebeck Verlag, München; € 35
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)